Informationen aus erster Hand zur ‘Flüchtlingsproblematik’
Am Mittwoch, den 6. April 2016, fand eine von den Fachbetreuern der Fachschaft Geschichte/Sozialkunde, Alois Weichselbraun und Dr. Gregor Weidinger, organisierte Veranstaltung zur aktuellen Flüchtlingsproblematik statt. Nach einer kurzen Einführung folgten drei eindrucksvolle Vorträge, die das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchteten.
Zunächst berichtete Hr. Bastian Höcketstaller, Leiter der BRK-Sozialwerkstatt Altötting, über seine tägliche Arbeit mit Asylbewerbern im Landkreis Altötting. Gleich zu Beginn stand die dramatische Geschichte eines 16-jährigen Irakers, der nachts um 3 Uhr aus seiner Heimat fliehen musste, nachdem IS-Kämpfer sein Wohnhaus überfallen und mehrere Familienmitglieder verschleppt hatten. Die anschließende achttägige LKW-Fahrt von der Türkei nach Bayern musste der junge Mann die letzten vier Tage ohne Nahrung überstehen, ehe er in München von der Polizei aufgegriffen wurde.
Etwa 1150 Asylbewerber im Landkreis Altötting
Vor diesem Hintergrund schilderte Hr. Höcketstaller die Rahmenbedingungen, unter denen der BRK-Kreisverband arbeitet. Der im Dezember 2015 erreichte Höchststand an Asylbewerbern im Landkreis betrug fast 1400. Momentan sind es ca. 1150, wobei wöchentlich 10-20 neue Flüchtlinge im Landkreis ankommen. Bis vor kurzem diente die Turnhalle beim Hallenbad als Erstaufnahmeeinrichtung, wo die Menschen v.a. mit Essen und Kleidung versorgt wurden. Die im Landkreis favorisierte Unterbringung in derzeit 154 Wohnungen und Häusern beschleunigt eine gelungene Integration allerdings erheblich. Hr. Höcketstaller informierte darüber, dass Erwachsene in dezentralen Unterkünften zum Lebensunterhalt staatliche Zahlungen in Höhe von 354 EUR, jene in Notunterkünften ein Taschengeld von 147 EUR erhalten.
Kurse, Feste, Suchdienst – Tätigkeiten des BRK-Kreisverbandes
Der BRK-Kreisverband betreut in erster Linie Asylbewerber in deren Alltag, indem z.B. Behördengänge oder Arztbesuche organisiert und begleitet werden. Weitere wichtige Tätigkeitsfelder sind interkulturelle Aktionen (z.B. internationale Cafés), die Wohnungsvermittlung für anerkannte Flüchtlinge, die Versorgung mit Waren im Wohlfahrtsladen und Gebrauchtwarenhaus sowie ein Suchdienst für vermisste Familienangehörige. Speziell auf jüngere Flüchtlinge ausgerichtet sind der so genannte ‘Jugendintegrationsdienst’, der Jugendlichen u.a. berufliche Perspektiven eröffnen soll, und die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in der Altöttinger Herrenmühle. Darüber hinaus koordiniert der Kreisverband die Arbeit von ca. 260 ehrenamtlichen Helfern, die ebenfalls Behördengänge begleiten und Deutschkurse anbieten, die von aktuell etwa 600 Asylbewerbern besucht werden. Weitere Aktionen für das Ehrenamt – die für eine erfolgreiche Integration „wichtigste Säule im ganzen Land“ (B. Höcketstaller) – umfassen Fortbildungen (z.B. zu kulturellen Besonderheiten in den Herkunftsländern der Asylbewerber) oder Helferkreistreffen. Abschließend wurden viele Fragen u.a. zu traumatisierten Flüchtlingen oder zur Rolle des laut Hrn. Höcketstaller „sehr engagierten“ Landratsamtes diskutiert.
Von Afghanistan nach Altötting
Im Anschluss schilderte die Schülerin Parisa Akbari (13T1) ihre persönlichen Erinnerungen an die Flucht ihrer Familie aus Afghanistan. Zunächst trug sie ein ergreifendes Gedicht über ihr Heimatland vor und zeichnete das Bild eines von Bürgerkrieg und religiösen Konflikten zwischen Sunniten und Schiiten zerstörten Landes, in dem Übergriffe durch die Taliban und nun auch des IS alltäglich sind. Außerdem berichtete sie von der starken gesellschaftlichen Dominanz der Männer, wodurch Frauen u.a. der Zugang zu Bildung erschwert wird. Nur wenige können sich dagegen wehren, wofür Fr. Akbari das Beispiel der 1997 geborenen Pakistanerin Malala Yousafzai anführte, die für ihr Engagement für Frauenrechte 2014 den Friedensnobelpreis erhalten hat. Als Konsequenz dieser Umstände fliehen viele Afghanen in den benachbarten Iran, wobei sie dort z.T. als Bürger zweiter Klasse angesehen werden und – v.a. als Frauen – ebenfalls mannigfaltigen Unfreiheiten ausgesetzt sind, was auf die enge Verschränkung von Politik und Religion zurückzuführen ist. Viele Afghanen ziehen schließlich weiter nach Europa.
Vor nunmehr sieben Jahren tat dies auch die Familie Akbari, die zunächst in den Iran floh, ehe sie von dort auf einem zwölfstündigen Fußmarsch in die Türkei gelangte. Eindrucksvoll erzählte Fr. Akbari, wie sie – damals noch ein Kind – trotz ihrer Müdigkeit von den Schleppern gezwungen wurde weiterzugehen. Von der Türkei aus wurde die Familie morgens um 2 Uhr von anderen Schleppern in einem völlig überfüllten Schlauchboot über das Mittelmeer geschickt, wo sie von einem Schiff gerettet und nach Griechenland gebracht wurde. Von dort aus gelangte die Familie schließlich nach Deutschland. Nach anfänglichen Problemen – da man die Sprache nicht beherrsche, fühle man sich „wie ein neugeborenes Kind“ – absolvierte Fr. Akbari die Haupt- und Mittelschule mit Bravour und steht nun kurz vor dem allgemeinen Abitur an der FOS/BOS Altötting.
„Ich sehe Schwierigkeiten mit den fremden Kulturen“ – „Ich sehe diesen Zustrom als Bereicherung“
Nach einer Diskussionsrunde u.a. zur Situation in Afghanistan stellte abschließend die Schülerin Lea Stich (13W1) interessante Ergebnisse einer im Rahmen ihrer Seminararbeit durchgeführten Befragung zur Akzeptanz von Flüchtlingen in der Region Mühldorf vor. Die 2015 erfolgte Erhebung enthielt Fragen wie z.B.: „Wie beurteilen Sie den starken Zustrom von Asylbewerbern in unserer Region?“ Von den insgesamt 189 Befragten beantworteten dies 68 mit „eher negativ“ und 41 mit „negativ“. Auf dieser Grundlage stellte Fr. Stich weitere aufschlussreiche Ergebnisse ihrer nach Alter und Beruf differenzierten Auswertung vor. Schließlich präsentierte die Referentin zahlreiche Aussagen, welche die Meinungen der Studienteilnehmer widerspiegeln:
- „Die aktuelle Entwicklung ist gut für den demographischen Wandel und den Fachkräftemangel.“ (Steuerfachangestellte, 20)
- „Man darf ja sowieso nichts gegen sie [die Flüchtlinge] sagen.“ (Gymnasiast, 15)
- „Die Schlepper sind das wahre Übel!“ (Gymnasiast, 16)
- „Ich sehe Schwierigkeiten mit den fremden Kulturen.“ (Rentner, 67)
- „Ich sehe diesen Zustrom positiv […], als Bereicherung für unsere Gesellschaft.“ (Sozialpädagogin, 24)
- „Asyl ist ein Menschenrecht.“ (Student, 22)
Eine rege und z.T. kontrovers geführte Diskussion zu diesen Auffassungen rundete die facettenreiche und multiperspektivische Veranstaltung zu diesem hochaktuellen Thema ab.
Alois Weichselbraun und Dr. Gregor Weidinger